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Alterdiskriminierung immer ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?

Was war passiert?

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV, wird der europäische Gerichtshof mit Beschluss des BAG vom 24.02.2022 zur Frage ersucht, ob eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters einer Jobanwärterin, nach Maßgabe der Art. 4 Abs. 1, 6 Abs. 1, 7 und 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG im Lichte des Art. 19 UN-BRK, gerechtfertigt werden könnte.

Hintergrund der Vorlage war ein Revisionsverfahren. Beteiligt war ein Assistenzdienst, der Beratungen, Unterstützungen und Leistungserbringungen für behinderten Menschen anbietet (Beklagte) und einer zur Klagezeit 53-Jährigen, die sich vergebens auf ein Stellenangebot der Beklagten beworben hat (Klägerin).

Im Juli 2018 veröffentlichte die Beklagte ein Stellenangebot, in der sie für eine 28-jährige Studentin, weibliche Assistentinnen in allen Lebensbereichen des Alltags suchte, wobei die Bewerberinnen im besten Fall zwischen 18 und 30 Jahre alt sein sollten. Nachdem die Klägerin erfolglos sich auf jenes Stellenagebot bewarb, erhob sie gegen die Beklagte am 18.10.2018 Klage vor dem Arbeitsgericht Köln auf Entschädigung nach Maßgabe des § 15 Abs. 2 AGG. Die Klägerin war hierbei der Auffassung, dass sie nur auf aufgrund ihres Alters nicht berücksichtigt worden sei und demnach diskriminiert worden ist. Weiterhin sei die Diskriminierung auch nicht nach Maßgabe der §§ 8 Abs. 1 und 10 AGG zulässig. Sie ist der Auffassung, dass für das Vertrauensverhältnis im Assistenzdienst kein bestimmtes Alter relevant sei und dass sie aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrung für die Stelle hätte berücksichtigt werden müssen.

Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Ansicht, dass § 8 Abs. 1 bzw. § 10 AGG Anwendung findet. Die betroffene Studentin bedürfe im vorliegenden Fall eine allumfassende Alltagsbegleitung in ständiger und vollkommener Abhängigkeit. Weiterhin trägt sie vor, dass das Alter einer Bewerberin eine höchstpersönliche Voraussetzung zur Befriedigung der Bedürfnisse der Assistenznehmerin darstelle, da nur so eine adäquate Teilnahme am sozialen Leben als Studentin an einer Universität für sie gewährleistet werden könnte.

Nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 SGB IX, seien hierbei die Wünsche, Interessen und Bedürfnisse der assistenznehmenden Personen zu berücksichtigen gewesen, da diese wegen ihrer Hilfsbedürftigkeit ständig Einschnitte in ihrer Privat- und Intimsphäre hinzunehmen hätte. Demnach stelle das Wunschalter durch die Hilfesuchende Studentin eine entscheidende berufliche Anforderung dar, um die Ziele des § 78 Abs. 1 SGB IX zu erreichen welche einen Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG darstellen würde. Schlussfolgernd sei daher die Diskriminierung gemäß § 10 AGG objektiv angemessen und erforderlich gewesen, da diese einen legitimen Zweck verfolge.

Auffassung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG geht im vorliegenden Fall davon aus, dass der Rechtsstreit unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG falle, da das Stellenangebot der Beklagten mit dem geäußerten Wunschalter der Kandidaten, ein Auswahlkriterien zum Zugang einer Erwerbstätigkeit nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG aufgestellt habe und die betroffene Richtlinie mit dem AGG in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Nach Überzeugung des Gerichts, wurde durch die Stellenabsage der Beklagten, die Klägerin gemäß § 3 Abs. 1 AGG, sowie nach Art 2. Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie, unmittelbar wegen ihres Alters benachteiligt. Weiterhin habe die Beklagte auch nicht die Vermutung für die Mitursächlichkeit des Alters für die Ablehnung der Klägerin widerlegt. Aus der Sicht des Gerichtes ist im vorliegenden Fall jedoch fraglich, ob die Altersdiskriminierung gerechtfertigt sein könnte. Zuletzt stünde nur fest, dass im Falle einer fehlenden Rechtfertigung, ein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG begründet wäre.

Das BAG macht deutlich, dass der vorliegende Rechtsstreit sich im Spannungsfeld zwischen den Diskriminierungsschutz der Klägerin wegen ihres Alters (§ 3 Abs. 1 AGG, Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG, Art. 21 Grundrechtecharta der europäischen Union) und des Diskriminierungsschutzes der hilfesuchenden Studentin und somit auch der Beklagten wegen einer Behinderung (Art. 21 und 26 der Grundrechtecharta der europäischen Union) befinde.

Nach Auffassung des BAG, seien bei Assistenzleistungen nach Maßgabe des § 78 Abs. 1 SGB IX unterschiedlichste Faktoren zu berücksichtigen. Neben den verschiedenen rechtlichen Vorgaben, den individuellen Assistenzbedürfnissen, den zuständigen Leistungsträgern (Krankenkasse, Bundesagentur für Arbeit etc.) oder den Bewilligungs- und Finanzierungsbedingungen, gelte es auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Leistungen auch auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen organisiert werden können (Arbeitgebermodell, organisatorische Hilfe durch Genossenschaften etc.).

Letzteres stehe besonders eng mit der Tatsache zusammen, dass die notwendigen Hilfeleistungen die Betroffenen tief in ihrer Privat- und Intimsphäre treffen, da diese häufig in nahezu jeder Lebenslage auf Hilfe angewiesen sind. Folglich gelte es daher bei der persönlichen Assistenz von behinderten Menschen, ein selbstbestimmtes und organsiertes Leben der Betroffenen (Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion) soweit wie irgend möglichst zu gewährleisten. Diese Unabhängigkeit würde sich bei dem Hilfesuchenden in den Formen einer Personal- (selbstbestimmte Personalauswahl), Anleitungs- (Anleitung des Personals nach Maßgabe eigener Erfahrungen mit der Behinderung) und Organisationskompetenz (Bestimmung des Orts, der Zeiten und des Umfangs der Hilfeleistungen) hinsichtlich der Hilfeleistung manifestieren. Diese Wertungen seien ebenfalls in den unterschiedlichsten Rechtsnormen verankert.

Zum einen sei da der § 8 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 33 SGB I zu erwähnen, nach denen auf die angemessenen und berechtigten Wünsche der Leistungsberechtigten in Abhängigkeit von ihren persönlichen Lebensumständen (Alter, Geschlecht, Familie, Religion etc.) einzugehen sei. Zum anderen seien diese Gedanken auch in Art. 19 UN-BRK zu finden, nach dem die Vertragsstaaten wie Deutschland verpflichtet sind, geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Unabhängigkeit von behinderten Menschen als Ausdruck ihrer Menschenwürde zu garantieren. Zu diesen geeigneten Maßnahmen würden auch Unterstützungsdienste wie etwa der persönlichen Assistenz von behinderten Menschen gehören. Zum anderen könnte auch Art. 7 der Grundrechtecharta der europäischen Union herangezogen werden, da in dieser Vorschrift angeordnet wird, dass das Privatleben und die Wohnungen von Individuen geschützt werden solle.

Wo liegen die Probleme?

Das BAG betonte im vorliegenden Falle jedoch auch, dass große Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Anwendung einzelner Vorschriften innerhalb der Richtlinie 2000/78 /EG bestehen würden.

Zunächst sei Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG zu erwähnen, der davon spreche, dass die Richtlinie nicht entgegen nationaler Regelungen/Maßnahmen, welche den Schutz der Freiheit einzelner Individuen diene, anzuwenden sei. Das Gericht betonte, dass zunächst der Rechtsprechung des EuGH entnommen werden könnte, dass der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen sei (vgl. EuGH 22. Januar 2019 – C-193/17, EU:C:2019:43 – [Cresco Investigation] Rn. 52: „susceptible d’être justifiée sur le fondement de l’article 2, paragraphe 5, de la directive 2000/78“bzw. „auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 5 … der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann“). Hieran anschließend stellt sich das BAG daher die Frage, ob der § 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG zur Rechtfertigung der vorliegenden Altersdiskriminierung herangezogen werden könnte, da im vorliegenden Fall die Selbstentscheidungsfreiheit von behinderten Personen geschützt werden soll. Dieses Argument stünde jedoch dem Schutz der Rechte der Klägerin gegenüber, sodass im vorliegenden Fall Klärungsbedarf besteht.

Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG spricht weiterhin davon, dass Mitgliedsstaaten wie Deutschland durch den Gleichbehandlungsgrundsatz der Richtlinie nicht gehindert sein sollten, spezifische Maßnahmen zur völligen Gleichstellung von Menschen im Berufsleben zu treffen. Das Gericht betonte, dass im vorliegenden Falle die persönliche Assistenz für behinderte Menschen, den oben benannten Ziel zwar nicht unmittelbar diene, jedoch die Frage aufzuwerfen sei, ob diese Vorschrift in Verbindung mit den Wertungen des Art. 19 UN-BRK und dessen menschenrechtlichen Ansätzen, zumindest mittelbar zur Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen herangezogen werden könnte.
Abschließend formulieren Art. 6 Abs. 1 und 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, dass Diskriminierungen bzw. Altersdiskriminierungen unter bestimmten Umständen gar nicht vorliegen würden. In diesem Zusammenhang formuliert der Art. 4 Abs. 1, dass nicht von einer Diskriminierung ausgegangen werden könne, wenn das fragliche Merkmal/Kriterium im Zusammenhang mit besonderen objektiven beruflichen Anforderungen stünde (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG). Hierbei besagte das BAG jedoch, dass sie nicht beurteilen könne, ob im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts von behinderten Menschen, dass hier formulierte Wunschalter von Betreuerinnen trotz subjektiver Elemente, eine objektive berufliche Anforderung darstellen könnte und falls doch, unter welchen Umständen eine solche Festlegung noch angemessen sei.

In einem ähnlichen Zusammenhang sei auch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG zu sehen, welches explizit aufführe, dass eine Altersdiskriminierung durch objektive und angemessene Ziele des nationalen Rechts, wie etwa aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt werden könne, wenn die eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich seien. Hierbei sei den Mitgliedsstaaten ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Problematisch sei hier jedoch die Tatsache, dass das BAG auch hier nicht feststellen könne, ob die vorliegende Ausgangssituation unter Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie fällt und falls ja, welche Vorgaben an die Angemessenheit und der Erforderlichkeit des Mittels zu stellen wären.

Zuletzt hat das BAG neben den vielen Anwendungsproblemen auch deutlich gemacht, dass der Schutz wegen Altersdiskriminierung nicht ausgehöhlt werden dürfe und den besonderen Interessen der Parteien hinreichend Rechnung getragen werden müsste. Schlussfolgernd sah das BAG zur Aufklärung des Sachverhaltes keine andere Möglichkeit, als ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV einzulegen.

Fazit

Die noch anstehende Entscheidung des europäischen Gerichtshofes sollte mit besonderer Aufmerksamkeit begegnet werden, da diese Entscheidung richtungsweisend für den Arbeitsmarkt persönlicher Leistungen und für die Behandlung von Arbeitsdiskriminierungsvorschriften sein könnte.