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Alterdiskriminierung immer ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?

Was war passiert?

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV, wird der europäische Gerichtshof mit Beschluss des BAG vom 24.02.2022 zur Frage ersucht, ob eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters einer Jobanwärterin, nach Maßgabe der Art. 4 Abs. 1, 6 Abs. 1, 7 und 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG im Lichte des Art. 19 UN-BRK, gerechtfertigt werden könnte.

Hintergrund der Vorlage war ein Revisionsverfahren. Beteiligt war ein Assistenzdienst, der Beratungen, Unterstützungen und Leistungserbringungen für behinderten Menschen anbietet (Beklagte) und einer zur Klagezeit 53-Jährigen, die sich vergebens auf ein Stellenangebot der Beklagten beworben hat (Klägerin).

Im Juli 2018 veröffentlichte die Beklagte ein Stellenangebot, in der sie für eine 28-jährige Studentin, weibliche Assistentinnen in allen Lebensbereichen des Alltags suchte, wobei die Bewerberinnen im besten Fall zwischen 18 und 30 Jahre alt sein sollten. Nachdem die Klägerin erfolglos sich auf jenes Stellenagebot bewarb, erhob sie gegen die Beklagte am 18.10.2018 Klage vor dem Arbeitsgericht Köln auf Entschädigung nach Maßgabe des § 15 Abs. 2 AGG. Die Klägerin war hierbei der Auffassung, dass sie nur auf aufgrund ihres Alters nicht berücksichtigt worden sei und demnach diskriminiert worden ist. Weiterhin sei die Diskriminierung auch nicht nach Maßgabe der §§ 8 Abs. 1 und 10 AGG zulässig. Sie ist der Auffassung, dass für das Vertrauensverhältnis im Assistenzdienst kein bestimmtes Alter relevant sei und dass sie aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrung für die Stelle hätte berücksichtigt werden müssen.

Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Ansicht, dass § 8 Abs. 1 bzw. § 10 AGG Anwendung findet. Die betroffene Studentin bedürfe im vorliegenden Fall eine allumfassende Alltagsbegleitung in ständiger und vollkommener Abhängigkeit. Weiterhin trägt sie vor, dass das Alter einer Bewerberin eine höchstpersönliche Voraussetzung zur Befriedigung der Bedürfnisse der Assistenznehmerin darstelle, da nur so eine adäquate Teilnahme am sozialen Leben als Studentin an einer Universität für sie gewährleistet werden könnte.

Nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 SGB IX, seien hierbei die Wünsche, Interessen und Bedürfnisse der assistenznehmenden Personen zu berücksichtigen gewesen, da diese wegen ihrer Hilfsbedürftigkeit ständig Einschnitte in ihrer Privat- und Intimsphäre hinzunehmen hätte. Demnach stelle das Wunschalter durch die Hilfesuchende Studentin eine entscheidende berufliche Anforderung dar, um die Ziele des § 78 Abs. 1 SGB IX zu erreichen welche einen Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG darstellen würde. Schlussfolgernd sei daher die Diskriminierung gemäß § 10 AGG objektiv angemessen und erforderlich gewesen, da diese einen legitimen Zweck verfolge.

Auffassung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG geht im vorliegenden Fall davon aus, dass der Rechtsstreit unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG falle, da das Stellenangebot der Beklagten mit dem geäußerten Wunschalter der Kandidaten, ein Auswahlkriterien zum Zugang einer Erwerbstätigkeit nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG aufgestellt habe und die betroffene Richtlinie mit dem AGG in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Nach Überzeugung des Gerichts, wurde durch die Stellenabsage der Beklagten, die Klägerin gemäß § 3 Abs. 1 AGG, sowie nach Art 2. Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie, unmittelbar wegen ihres Alters benachteiligt. Weiterhin habe die Beklagte auch nicht die Vermutung für die Mitursächlichkeit des Alters für die Ablehnung der Klägerin widerlegt. Aus der Sicht des Gerichtes ist im vorliegenden Fall jedoch fraglich, ob die Altersdiskriminierung gerechtfertigt sein könnte. Zuletzt stünde nur fest, dass im Falle einer fehlenden Rechtfertigung, ein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG begründet wäre.

Das BAG macht deutlich, dass der vorliegende Rechtsstreit sich im Spannungsfeld zwischen den Diskriminierungsschutz der Klägerin wegen ihres Alters (§ 3 Abs. 1 AGG, Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG, Art. 21 Grundrechtecharta der europäischen Union) und des Diskriminierungsschutzes der hilfesuchenden Studentin und somit auch der Beklagten wegen einer Behinderung (Art. 21 und 26 der Grundrechtecharta der europäischen Union) befinde.

Nach Auffassung des BAG, seien bei Assistenzleistungen nach Maßgabe des § 78 Abs. 1 SGB IX unterschiedlichste Faktoren zu berücksichtigen. Neben den verschiedenen rechtlichen Vorgaben, den individuellen Assistenzbedürfnissen, den zuständigen Leistungsträgern (Krankenkasse, Bundesagentur für Arbeit etc.) oder den Bewilligungs- und Finanzierungsbedingungen, gelte es auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Leistungen auch auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen organisiert werden können (Arbeitgebermodell, organisatorische Hilfe durch Genossenschaften etc.).

Letzteres stehe besonders eng mit der Tatsache zusammen, dass die notwendigen Hilfeleistungen die Betroffenen tief in ihrer Privat- und Intimsphäre treffen, da diese häufig in nahezu jeder Lebenslage auf Hilfe angewiesen sind. Folglich gelte es daher bei der persönlichen Assistenz von behinderten Menschen, ein selbstbestimmtes und organsiertes Leben der Betroffenen (Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion) soweit wie irgend möglichst zu gewährleisten. Diese Unabhängigkeit würde sich bei dem Hilfesuchenden in den Formen einer Personal- (selbstbestimmte Personalauswahl), Anleitungs- (Anleitung des Personals nach Maßgabe eigener Erfahrungen mit der Behinderung) und Organisationskompetenz (Bestimmung des Orts, der Zeiten und des Umfangs der Hilfeleistungen) hinsichtlich der Hilfeleistung manifestieren. Diese Wertungen seien ebenfalls in den unterschiedlichsten Rechtsnormen verankert.

Zum einen sei da der § 8 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 33 SGB I zu erwähnen, nach denen auf die angemessenen und berechtigten Wünsche der Leistungsberechtigten in Abhängigkeit von ihren persönlichen Lebensumständen (Alter, Geschlecht, Familie, Religion etc.) einzugehen sei. Zum anderen seien diese Gedanken auch in Art. 19 UN-BRK zu finden, nach dem die Vertragsstaaten wie Deutschland verpflichtet sind, geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Unabhängigkeit von behinderten Menschen als Ausdruck ihrer Menschenwürde zu garantieren. Zu diesen geeigneten Maßnahmen würden auch Unterstützungsdienste wie etwa der persönlichen Assistenz von behinderten Menschen gehören. Zum anderen könnte auch Art. 7 der Grundrechtecharta der europäischen Union herangezogen werden, da in dieser Vorschrift angeordnet wird, dass das Privatleben und die Wohnungen von Individuen geschützt werden solle.

Wo liegen die Probleme?

Das BAG betonte im vorliegenden Falle jedoch auch, dass große Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Anwendung einzelner Vorschriften innerhalb der Richtlinie 2000/78 /EG bestehen würden.

Zunächst sei Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG zu erwähnen, der davon spreche, dass die Richtlinie nicht entgegen nationaler Regelungen/Maßnahmen, welche den Schutz der Freiheit einzelner Individuen diene, anzuwenden sei. Das Gericht betonte, dass zunächst der Rechtsprechung des EuGH entnommen werden könnte, dass der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen sei (vgl. EuGH 22. Januar 2019 – C-193/17, EU:C:2019:43 – [Cresco Investigation] Rn. 52: „susceptible d’être justifiée sur le fondement de l’article 2, paragraphe 5, de la directive 2000/78“bzw. „auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 5 … der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann“). Hieran anschließend stellt sich das BAG daher die Frage, ob der § 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG zur Rechtfertigung der vorliegenden Altersdiskriminierung herangezogen werden könnte, da im vorliegenden Fall die Selbstentscheidungsfreiheit von behinderten Personen geschützt werden soll. Dieses Argument stünde jedoch dem Schutz der Rechte der Klägerin gegenüber, sodass im vorliegenden Fall Klärungsbedarf besteht.

Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG spricht weiterhin davon, dass Mitgliedsstaaten wie Deutschland durch den Gleichbehandlungsgrundsatz der Richtlinie nicht gehindert sein sollten, spezifische Maßnahmen zur völligen Gleichstellung von Menschen im Berufsleben zu treffen. Das Gericht betonte, dass im vorliegenden Falle die persönliche Assistenz für behinderte Menschen, den oben benannten Ziel zwar nicht unmittelbar diene, jedoch die Frage aufzuwerfen sei, ob diese Vorschrift in Verbindung mit den Wertungen des Art. 19 UN-BRK und dessen menschenrechtlichen Ansätzen, zumindest mittelbar zur Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen herangezogen werden könnte.
Abschließend formulieren Art. 6 Abs. 1 und 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, dass Diskriminierungen bzw. Altersdiskriminierungen unter bestimmten Umständen gar nicht vorliegen würden. In diesem Zusammenhang formuliert der Art. 4 Abs. 1, dass nicht von einer Diskriminierung ausgegangen werden könne, wenn das fragliche Merkmal/Kriterium im Zusammenhang mit besonderen objektiven beruflichen Anforderungen stünde (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG). Hierbei besagte das BAG jedoch, dass sie nicht beurteilen könne, ob im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts von behinderten Menschen, dass hier formulierte Wunschalter von Betreuerinnen trotz subjektiver Elemente, eine objektive berufliche Anforderung darstellen könnte und falls doch, unter welchen Umständen eine solche Festlegung noch angemessen sei.

In einem ähnlichen Zusammenhang sei auch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG zu sehen, welches explizit aufführe, dass eine Altersdiskriminierung durch objektive und angemessene Ziele des nationalen Rechts, wie etwa aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt werden könne, wenn die eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich seien. Hierbei sei den Mitgliedsstaaten ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Problematisch sei hier jedoch die Tatsache, dass das BAG auch hier nicht feststellen könne, ob die vorliegende Ausgangssituation unter Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie fällt und falls ja, welche Vorgaben an die Angemessenheit und der Erforderlichkeit des Mittels zu stellen wären.

Zuletzt hat das BAG neben den vielen Anwendungsproblemen auch deutlich gemacht, dass der Schutz wegen Altersdiskriminierung nicht ausgehöhlt werden dürfe und den besonderen Interessen der Parteien hinreichend Rechnung getragen werden müsste. Schlussfolgernd sah das BAG zur Aufklärung des Sachverhaltes keine andere Möglichkeit, als ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV einzulegen.

Fazit

Die noch anstehende Entscheidung des europäischen Gerichtshofes sollte mit besonderer Aufmerksamkeit begegnet werden, da diese Entscheidung richtungsweisend für den Arbeitsmarkt persönlicher Leistungen und für die Behandlung von Arbeitsdiskriminierungsvorschriften sein könnte.

Fachanwalt für Arbeitsrecht Charlottenburg: Rückforderung von Fortbildungskosten durch den Arbeitgeber – wann muss ein Arbeitnehmer zahlen?

Wann muss ein ausscheidender Arbeitnehmer nachträglich für die Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Fortbildung aufkommen? Mit dieser Rechtsfrage beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 1. März 2022 (9 AZR 260/21). Ein Blick in die Entscheidung lohnt sich, denn in bestimmten Fällen besteht trotz entsprechender Vertragsklausel keine Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers.

Was war passiert?

Häufig finden sich in den AGB von Fortbildungsverträgen Klauseln, die eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich der Ausbildungskosten für den Fall vorsehen, dass das Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist nach Abschluss der Fortbildung beendet wird. Tritt dies ein, fordert der Arbeitgeber regelmäßig einen Teil der angefallenen Kosten zurück. So geschah es auch im hiesigen Fall, der am Ende beim Bundesarbeitsgericht gelandet ist. Die betroffene Arbeitnehmerin hatte nicht zahlen wollen. Das Gericht gab ihr damit am Ende Recht.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Einzelvertragliche Vereinbarungen, die eine Rückzahlungspflicht vorsehen, seien dabei grundsätzlich zulässig, urteilte der 9. Senat in Erfurt zunächst. Ein Arbeitnehmer werde durch eine entsprechende Klausel nicht generell unangemessen benachteiligt. Aber Achtung: Der Senat trifft hierzu eine wichtige Einschränkung.

Unzulässig und deshalb unwirksam sei eine AGB-Klausel, welche die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers knüpft. Es müsse vielmehr stets nach dem Grund der Kündigung differenziert werden. Ansonsten liegt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne dieser Norm sei dabei nicht nur in Fällen anzunehmen, in denen der Arbeitnehmer durch Gründe aus der Sphäre des Arbeitgebers zu einer Kündigung veranlasst wird. Eine Rückzahlungsklausel ist auch dann unangemessen benachteiligend im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie auch den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm unverschuldet – z.B. aus gesundheitlichen Gründen – dauerhaft nicht möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichtet. Denn am Fortbestand eines nicht erfüllbaren und damit „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnisses besteht kein billigenswertes Interesse. Der Umstand, dass sich die Investition in die Aus- und Weiterbildung des Arbeitnehmers aufgrund unverschuldeter dauerhafter Leistungsunfähigkeit für den Arbeitgeber nicht rechnet, da die durch die Fortbildung erworbene oder aufrechterhaltene Qualifikation nicht (mehr) nutzbar ist, ist dem unternehmerischen Risiko zuzurechnen. Die Verluste hat der Arbeitgeber als Betriebsausgaben zu tragen.

Kommt es nun zum Prozess wegen des Streits um die Rückzahlungspflicht der Fortbildungskosten, sollten Arbeitnehmer wissen, dass der Arbeitgeber sich zunächst auf den Vortrag beschränken kann, die Eigenkündigung des Arbeitnehmers beruhe nicht auf unverschuldeten personenbedingten Gründen. Nun ist der Arbeitnehmer am Zug und hat substantiiert vorzuragen, durch unverschuldete Gründe in seiner Person, die seine Beschäftigung bis zum Ablauf der Bindungsfrist ausschließen, zur Eigenkündigung veranlasst worden zu sein.

Fazit:

Aufgrund der arbeitnehmerfreundlichen Entscheidung des BAG lohnt sich ein genauerer Blick in den Vertragstext. Eine ausnahmslose Kostentragungspflicht bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vorgesehenen Bindungsfrist ohne Differenzierung nach dem Grund für die Kündigung ist rechtlich nicht zulässig. Die damit einhergehende Pflicht zur Rückzahlung der Ausbildungskosten entfällt.

 

Fachanwalt für Arbeitsrecht Stephan Kersten: Das betriebliche Eingliederungsmanagement

Das betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist in § 167 SGB IX geregelt.

§ 167 Abs. 2 SGB IX enthält eine Legaldefinition, was hierunter grundsätzlich zu verstehen ist. Da der Gesetzgeber in § 167 Abs. 2 SGB IX für die praktische Durchführung eines BEM nur einige „Mindeststandards“ festlegt hat, hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung diese Vorgaben zunehmend konkretisiert.

Ziele des BEM

Ziel des BEM ist es zunächst, herauszufinden, wie bestehende Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz möglichst erhalten werden kann (§ 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX).

Dies soll in einem „ergebnisoffenen Suchprozess“ (BAG 22. März 2016, 1 ABR 14/14) geschehen.

Zudem soll das BEM, ausweislich der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 84 SGB IX aF im Jahr 2004, dazu beitragen der Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz einen stärkeren Stellenwert verschaffen (vgl. BT-Drs. 15/1783, S. 16).

Voraussetzungen und Durchführung des BEM

Obwohl das BEM im SGB IX und damit in dem Buch „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung“ geregelt ist, ist ein BEM grundsätzlich bei allen Arbeitnehmern durchzuführen. Es kommt zudem weder auf die Betriebsgröße noch auf die Rechtsform des Betriebes an. Es ist auch unerheblich, ob die Arbeitsunfähigkeit arbeitsbedingt eingetreten ist oder nicht.

Das BEM besteht grundsätzlich aus zwei Phasen:

In der ersten Phase bietet der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern, die die gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX erforderlichen Krankheitszeiten aufweisen, die Durchführung eines BEM an.

Erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Möglichkeit zur Durchführung eines BEM zu unterrichten. Stimmt der Arbeitnehmer der Durchführung eines BEM zu, so sind in der zweiten Phase mit allen Beteiligten gemeinsam mögliche Maßnahmen zu erörtern. Sind geeignete Maßnahmen gefunden worden, so ist der Arbeitgeber verpflichtet diese Maßnahmen anschließend umzusetzen.

Die Einladung zum BEM

Die Einladung zum BEM stellt einen wichtigen Punkt dar, da der Arbeitnehmer anhand der in der Einladung enthaltenen Informationen entscheiden soll, ob er an dem BEM teilnehmen möchte oder nicht. Nach der Rechtsprechung muss eine Einladung folgende Informationen enthalten:

• Ziele des BEM
• Freiwilligkeit des BEM
• Art und Umfang der zu erhebenden und zu verwendenden Daten
• Möglichkeit, die in § 167 Abs. 2 SGB IX genannten Stellen bzw. Personen hinzuzuziehen

Folge eines unterlassenen BEM im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung

Will der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer krankheitsbedingt kündigen, so stellt sich die Frage, ob Voraussetzung hierfür die erfolglose Durchführung eines BEM ist. Denn eine Kündigung muss stets verhältnismäßig und nach dem ultima-ratio-Prinzip die letzte Möglichkeit sein. Das BEM konkretisiert diesen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, indem es dazu bei trägt zu überprüfen, ob andere Möglichkeiten als eine Kündigung in Betracht kommen.

Die Durchführung bzw. Nichtdurchführung eines BEM hat folglich Auswirkungen auf den Kündigungsschutzprozess:

Kommt es zu einem Kündigungsschutzprozess trifft den Arbeitgeber zunächst einmal die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

Hat der Arbeitgeber ein BEM ordnungsgemäß durchgeführt und fehlerfrei festgestellt, dass eine andere Beschäftigungsmöglichkeit nicht in Betracht kommt, so ist eine krankheitsbedingte Kündigung das letzte Mittel und die Kündigung daher verhältnismäßig. Wurde ein BEM hingegen nicht durchgeführt, so kann sich dies im Rahmen der Interessenabwägung nachteilig für den Arbeitgeber auswirken und dazu führen, dass sich die Kündigung im Prozess als unverhältnismäßig und damit als unwirksam herausstellt.

Jedoch führt ein unterlassenes BEM nicht automatisch dazu, dass eine Kündigung unverhältnismäßig ist.

Denn der Arbeitgeber hat im Prozess die Möglichkeit darzulegen und zu beweisen, dass sich die Durchführung eines BEM als objektiv nutzlos erwiesen hätte. Von einer solchen objektiven Nutzlosigkeit ist auszugehen, wenn eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter keinen Umständen möglich gewesen wäre. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer unheilbar krank ist oder die Arbeitsfähigkeit auf nicht absehbare Zeit ausgeschlossen ist.

Datenschutz

Der Datenschutz spielt bei der Durchführung des BEM eine besonders wichtige Rolle.

Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer stets darüber zu informieren, welche Daten von ihm erhoben und wofür diese Daten verarbeitet werden. Die preisgegebenen Daten dürfen zu keinen anderen als den vom Arbeitnehmer genehmigten Zwecken verwendet werden.
Bei den im Rahmen eines BEM erhobenen und verarbeiteten Daten handelt es sich vor allem um Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers, bei denen es sich um sehr sensible Daten handelt, die nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO als eine besondere Kategorie personenbezogener Daten besonders geschützt sind.

Zu deren Erhebung und Verwendung bedarf es daher einer Ermächtigungsgrundlage für den Arbeitgeber. Diese kann sich insbesondere aus einer Einwilligung des Arbeitnehmers ergeben.

Detailliertere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie hier.

Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin Charlottenburg: Zur Zulässigkeit einer Höchstaltersgrenze in einer Versorgungsregelung

Am 21.09.2021 hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass eine Höchstaltersgrenze in einer betrieblichen Versorgungsregelung weder eine ungerechtfertigte Altersdiskriminierung noch eine unzulässige mittelbare Benachteiligung von Frauen darstellt (BAG 3 AZR 147/21).

Was war passiert?

Die im Juni 1961 geborene Klägerin hatte am 18.07.2016 eine Beschäftigung bei der Beklagten, einer großen Dienstleistungsgewerkschaft, aufgenommen. Die Beklagte gewährt Beschäftigten auf Grund einer entsprechenden Betriebsvereinbarung eine betriebliche Altersversorgung. Voraussetzung für Leistungen aus dieser betrieblichen Altersversorgung ist, dass die/der Beschäftigte bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Klägerin war der Meinung, dass diese Regelung diskriminierend und daher unwirksam sei. Darüber hinaus sei sie auch wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, da nach den typischen Abläufen Frauen ihre Berufstätigkeit häufiger wegen familiärer Verpflichtungen unterbrechen und erst später wieder aufnehmen.

Entscheidung des BAG

Im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung zu Altersgrenzen hat das BAG entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Anmeldung zur Unterstützungskasse hat und von den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wirksam ausgeschlossen ist.

Keine Altersdiskriminierung

Der Ausschluss der Klägerin, die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses bereits ihr 55. Lebensjahr vollendet und damit die Höchstaltersgrenze nach der Betriebsvereinbarung überschritten hatte, stelle keine unzulässige Altersdiskriminierung gem. §§ 1, 3 I, § 7 AGG dar. Durch die Höchstaltersgrenze liegt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters vor. Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters aber zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Tatbestände, die unterschiedliche Behandlungen rechtfertigen, sind in § 10 Satz 3 AGG enthalten. Nr. 4 AGG nennt hier die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. Die Festlegung einer Altersgrenze als Zugangsvoraussetzung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung bewirkt, dass der Arbeitgeber den aus der Versorgungszusage resultierenden Versorgungsaufwand verlässlich kalkulieren und seine wirtschaftlichen Belastungen besser einschätzen und begrenzen kann. Die Altersgrenze verfolge einen legitimen Zweck, sie sei angemessen und erforderlich. An dieser Beurteilung ändere auch die Anhebung der Regelaltersgrenze auf die Vollendung des 67. Lebensjahres nichts.

Keine Diskriminierung wegen des Geschlechts

 

Eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts sei ebenfalls nicht gegeben. Eine Höchstaltersgrenze von 55 Jahren benachteiligt Frauen auch nicht mittelbar. Zutreffend ist zwar, dass Frauen häufiger als Männer ihre Berufstätigkeit unterbrechen und später wieder aufnehmen. Allerdings sei bei typisierender Betrachtung mit dem Wiedereintritt in das Berufsleben nach Zeiten der Kindererziehung bereits vor der Vollendung des 55. Lebensjahres zu rechnen. Das BAG verweist insoweit auf seine Entscheidungen von 2013 (3 AZR 356/12 und 3AZR 100/11) sowie auf die Nichtzulassungsentscheidung des BVerfG vom 23.07. 2019 (1 BvR 684/14) – bei denen es sogar um eine Altersgrenze von 50 Jahren gegangen war. Auch die Tatsache, dass Frauen durchschnittlich weniger Versicherungsjahre als Männer aufweisen (nach Statistiken der Deutschen Rentenversicherung aus 2019: 36,5 gegenüber 39 Versicherungsjahren bei Männern) führe nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung. Zwar dürfe der durch die Altersgrenze unberücksichtigte Teil der Berufstätigkeit nicht übermäßig lang sein; der Unterschied sei aber hier nicht so groß, als dass es zu einer unangemessenen Benachteiligung komme.

Fazit

Auch wenn starre Grenzen wegen ihrer Ausschlusswirkungen von den Betroffenen häufig als Härte empfunden werden – gerade auch in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Altersgrenze nur um einen Monat überschritten wurde – sind sie doch für die Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit von Versorgungssystemen unerlässlich. Das BAG knüpft mit der Entscheidung an seine ständige Rechtsprechung an und setzt diese fort.

Anspruch betriebliche Altersversorgung Altersklausel Versorgungsordnung Altersdiskriminierung Diskriminierung auf Grund des Geschlechts

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Was war passiert?

Die Klägerin, die bei der Beklagten im öffentlichen Dienst angestellt war und zwischenzeitlich Altersrente bezog, beantragte im November 2006 die Beibehaltung der krankheitsbedingten Entgeltfortzahlung bis zum Ende der 26. Woche auf Grundlage des § 71 BAT (alt). Die Klägerin war bei einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig krankenversichert. Die Beklagte teilte ihr auf den Antrag mit, ein solcher Anspruch setze eine Bescheinigung der gesetzlichen Krankenkasse nach § 240 SGB V voraus, wonach aufgrund individueller Vereinbarung erst ab der 27. Woche ein Anspruch auf Krankengeld bestehe. Die Klägerin war 2019 und 2020 krankheitsbedingt arbeitsunfähig, wobei ihr die Beklagte jeweils Krankheitsgeld (nur) bis zum Ablauf der 6. Woche zahlte. Die Klägerin meinte nun, ihr stünde ein Zahlungsanspruch bis zur Dauer von 26. Wochen zu.

Rechtliche Würdigung des LAG:

Das LAG wies die Berufung als unbegründet zurück. Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Entgeltfortzahlung zwischen der 7. und 26. Woche der Arbeitsunfähigkeit aus § 13 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 TVÜ-L. Denn die Klägerin erfülle die Voraussetzung des § 71 BAT nicht vollständig, da sie am 19. Mai 2006 (Stichtag) keinen Anspruch auf Krankengeld ab der 27. Woche der Arbeitsunfähigkeit hatte. Denn nach Auffassung des Gerichts sei die Konstellation eines bestehenden, aber für den Zeitraum der Entgeltfortzahlung ruhenden Anspruchs auf Krankengeld nicht von § 13 Abs 3 S 3 TVÜ-L erfasst. Dies ergebe eine Auslegung dieser tariflichen Vorschrift, welche diejenigen Beschäftigten erfassen soll, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und die nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums wegen eines satzungsmäßigen oder individualrechtlichen Ausschlusses des Anspruchs auf das Krankengeld in eine Versorgungslücke fallen würden.

Fazit:

Bei begehrten Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall bis zur Dauer von 26. Wochen im öffentlichen Landesdienst ist zu beachten, dass nur solchen freiwillig gesetzlich versicherten Beschäftigten ein entsprechender Anspruch zusteht, welche aufgrund eines individualrechtlichen oder satzungsmäßigen Anspruchsausschlusses in eine Versorgungslücke fallen würden. Ruhende Ansprüche sind hiervon nicht erfasst.

LAG Rheinland-Pfalz (7. Kammer), Urteil vom 02.06.2021 – 7 Sa 392/20

Anspruch auf Home-Office Tätigkeit statt Änderung des Arbeitsortes?

Kein Anspruch auf Homeoffice – ändert sich der Arbeitsort aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung und ergeht eine Änderungskündigung, hat der Arbeitnehmer nicht zwangsläufig ein Recht darauf, seine Arbeit von zu Hause aus zu verrichten.

So urteilte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil v. 24. März 2021 – 4 Sa 1243/20) in zweiter Instanz, nachdem das Arbeitsgericht Berlin zuvor mit Urteil vom 10. August 2020 anders entschied.

Was war passiert?

Eine in Berlin als Vertriebsassistentin beschäftigte Arbeitnehmerin wehrte sich gegen eine Änderungskündigung. Ihr Arbeitgeber hatte entschieden, die neben der Zentrale in Wuppertal bestehenden fünf Niederlassungen zu schließen und sämtliche Vertriebsaktivitäten ausschließlich in die Zentrale zu verlegen. Ein hierfür nötiger Interessenausgleich und Sozialplan wurde erstellt. Mit der Änderungskündigung wurde ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Wuppertal angeboten. Dies hielt die Arbeitnehmerin jedoch für sozial ungerechtfertigt. Sie war der Auffassung, dass ihr als milderes Mittel die Weiterführung des Beschäftigungsverhältnisses im Homeoffice hätte angeboten werden müssen.

Und das Arbeitsgericht Berlin gab ihr mit seinem Urteil vom 10. August 2020 Recht. Die Kammer war der Ansicht, dass sich der Arbeitgeber nicht dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach darauf beschränkt habe, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die unabdingbar sind und den Arbeitnehmer am wenigsten beeinträchtigen.

Doch damit verstieß es selbst gegen einen bestehenden Grundsatz, nachdem die sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit unternehmerischer Entscheidungen nicht der Überprüfung der Arbeitsgerichte zugänglich ist. Denn es soll allein Sache des Arbeitgebers sein, das Unternehmen durch taktisch günstige Entscheidungen zu Erfolg oder Misserfolg zu führen. Lediglich das tatsächliche Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, deren Durchsetzung den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses nach bisherigen Bedingungen zur Folge hat, steht einer Rechts- und Missbrauchskontrolle durch die Gerichte offen. Allein offenkundig unvernünftige oder willkürliche Entscheidungen sind dann gerichtlich aufzuheben.

Dies war im vorliegenden Verfahren jedoch gerade nicht der Fall, weshalb das Urteil in der Berufungsinstanz aufgehoben und die Klage abgewiesen wurde.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg stellte klar, dass die Organisationsentscheidung der Missbrauchskontrolle standhielt. Unter Berücksichtigung der unternehmerischen Entscheidung, den Vertrieb in der Zentrale in Wuppertal zu konzentrieren, sei Homeoffice daher kein geeignetes milderes Mittel. Denn dieses würde genau das Gegenteil dessen bewirken, was von der Geschäftsführung des Unternehmens bezweckt war.

Da jedoch jedes Arbeitsverhältnis und jedes Kündigungsschutzverfahren stets im Einzelfall zu prüfen ist, bleibt anzumerken, dass in der Vergangenheit in einem anderen Verfahren und unter anderen Voraussetzungen bereits ein Anspruch auf Homeoffice bejaht wurde.

Sollten Sie hierzu eine weitergehende Beratung wünschen, steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Kersten als Fachanwalt für Arbeitsrecht gerne zur Verfügung.

 

 

Achtung Arbeitnehmer: Arbeitgeber kann Rückzahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangen

Wird ein Arbeitnehmer krank, hat er gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu einer Dauer von sechs Wochen. Bei einer darüber hinaus fortdauernden Arbeitsunfähigkeit infolge der gleichen Krankheit (Fortsetzungserkrankung), entfällt der Lohnanspruch gegenüber dem Arbeitgeber und weicht einem Anspruch auf Krankengeld, welches durch die gesetzlichen Krankenkassen gewährt wird. Folgt hingegen eine erneute Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer anderen Krankheit, entsteht abermals ein Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Dauer von weiteren sechs Wochen.

Kommt es in diesem Zusammenhang zu einer Überzahlung durch den Arbeitgeber, weil aus den eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eine Fortsetzungserkrankung nicht ersichtlich war, kann dieser unter gewissen Umständen einen Rückzahlungsanspruch auch nach Ablauf mehrerer Monate gegenüber dem Arbeitnehmer geltend machen.

So entschied das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 31.03.2021.

In dem dort verhandelten Fall schloss sich nach einer vorangegangenen sechswöchigen Erkrankung der Arbeitnehmerin eine weitere Krankmeldung an. Die hierzu vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde fälschlicherweise als „Erstbescheinigung“ gekennzeichnet. Dies wurde dem klagenden Land durch Mitteilung der zuständigen Krankenkasse erst etwa 17 Monate später bekannt, sodass es seine Arbeitnehmerin 19 Monate nach der Überweisung des zu viel gezahlten Lohns zur Rückzahlung aufforderte – mit Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Antrag des Landes auf Rückzahlung der geleisteten Entgeltfortzahlung für die Zeit der Fortsetzungserkrankung statt. Insbesondere sei die arbeitsvertraglich einbezogene tarifvertragliche Ausschlussfrist gemäß § 37 Abs. 1 S. 1 TV-L nicht überschritten worden. Demnach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Fälligkeit, wenn sie nicht zuvor schriftlich geltend gemacht wurden.

Fälligkeit trete jedoch erst ein, wenn der Anspruchsteller die tatsächliche Möglichkeit hatte, seinen Anspruch geltend zu machen. Dies sei regelmäßig ab Kenntniserlangung der Fall. In dem, dem Urteil zugrundeliegenden, Fall erfolgte dies mit Schreiben der Krankenkasse.

Im Falle einer länger als sechs Wochen währenden Arbeitsverhinderung ergebe sich auch aus der, in der Rechtsprechung entwickelten, „abgestuften Darlegungs- und Beweislast“ keine Erkundungspflicht des Arbeitgebers. Anders sei es nur, wenn dieser konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass die neuerliche Krankheit auf denselben Ursachen beruht wie die vorausgehende Erkrankung.

Fazit: Ergibt sich aus den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht der Krankheitsgrund oder der Umstand, dass es sich um eine Fortsetzungserkrankung handelt und wird infolgedessen ungerechtfertigt Entgeltfortzahlung geleistet, muss der Arbeitnehmer auch Jahre nach der Leistung mit der Rückforderung der überzahlten Summe rechnen.

Für weitergehende Fragen rund um das Thema Arbeitsrecht steht Ihnen Rechtsanwalt Kersten als Fachanwalt für Arbeitsrecht gerne zur Verfügung.

 

Corona Impfung: Keine Vergütungspflicht des Arbeitgebers für die Wahrnehmung eines Corona-Impftermins während der Arbeitszeit

Für die Zeit, die Arbeitnehmer aufgrund von Terminen für die Schutzimpfungen gegen das Coronavirus ihrer Arbeit fernbleiben, verlieren ArbeitnehmerInnen ihren Vergütungsanspruch. Folgende Gründe lassen sich gegen die Annahme einer Vergütungspflicht des Arbeitgebers aufführen:

Gegen einen Vergütungsanspruch aus § 611a Abs. 2 iVm. dem Arbeitsvertrag spricht der Grundsatz „Kein Geld ohne Arbeit“. Vergütet werden danach nur Aufgaben, die dem arbeitgeberseitigen Bedürfnis zuzuordnen sind. Eine Schutzimpfung dient – auch wenn sie durch den Arbeitgeber angewiesen ist – vorrangig dem Schutz der Allgemeinheit und der geimpften Person selbst.

Ein Vergütungsanspruch aus tariflichen Regelungen besteht grundsätzlich nur für während der Arbeitszeit entstehende erforderliche Abwesenheits- und Wegezeiten im Falle einer ärztlichen Behandlung. Das Merkmal Behandlung umfasst, gestützt auf §§ 27 ff. SGB V, Leistungen bei Krankheit des Arbeitnehmers sowie ärztlich angeordnete Vorsorgeuntersuchungen. Bei der Schutzimpfung handelt es sich indes um eine Leistung zur Vorbeugung der Erkrankung, die nicht unter das Merkmal Behandlung fällt.
Darüber hinaus entfällt der Anspruch mangels Erforderlichkeit der Abwesenheit auch dann, wenn die Möglichkeit besteht, die Schutzimpfung außerhalb der Arbeitszeiten wahrzunehmen. Das trifft aufgrund der Option einen „Wunschtermin“ auszuwählen grundsätzlich auch für Arbeitnehmer zu, die ihre Arbeitszeit nicht selbst bestimmen können.

Auch ein auf § 616 BGB gestützter Vergütungsanspruch ist fernliegend. Davon werden lediglich in der Person liegende Gründe unverschuldeter Verhinderungen die Dienstleistung zu erbringen erfasst. Nicht erfasst werden demgegenüber objektive Leistungshindernisse, die einen Großteil der Bevölkerung treffen. Letzteren ist die Wahrnehmung eines Impftermins zuzuordnen. Zusätzlich ist auch an dieser Stelle – entsprechend den obigen Ausführungen – die Möglichkeit der Terminierung außerhalb der Arbeitszeit zu beachten.

Fachanwalt für Arbeitsrecht Stephan Kersten: Außerordentliche Kündigung bei vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Arbeitgeber scheitern regelmäßig daran, einem Arbeitnehmer wirksam zu kündigen, wenn der Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit besteht. Das Landesarbeitsgericht Köln hat nun zugunsten eines Arbeitgebers entschieden (LAG Köln, Urteil vom 07.07.2017 – 4 Sa 936/16)

In dem dem Urteil zugrundeliegenden Fall hatte eine Kölner Angestellte sich genau für den Zeitraum krankgemeldet und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrer Hausärztin vorgelegt, für den sie zuvor erfolglos Urlaub beantragt hatte. Der Arbeitgeber beauftragte daraufhin einen Detektiv. Nach einer Anhörung der Arbeitnehmerin und nachdem sie mit den Ergebnissen des Detektivs konfrontiert wurde, kündigte ihr der Arbeitgeber außerordentlich aufgrund des dringenden Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Auf die Kündigungsschutzklage der Angestellten hin, erhob der Arbeitgeber Widerklage, mit der er von ihr Schadensersatz in Höhe der Detektivkosten geltend machte.

Das LAG Köln gab dem Arbeitgeber recht und stellte fest, dass die Kündigung wirksam ist. Eine Vielzahl von Faktoren sprächen dafür, dass die Angestellte nicht tatsächlich erkrankt gewesen sei. Der daher bestehende dringende Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit erschüttere die Beweiskraft des vorliegenden ärztlichen Attests dahingehend. Auch die anschließende Zeugenbefragung der behandelnden Ärztin vermochte nicht die Zweifel des Gerichts auszuräumen. Die Ärztin habe zwar angegeben, die Arbeitnehmerin aufgrund eines psychischen Ausnahmezustands für arbeitsunfähig gehalten zu haben, sie habe aber keine objektive Diagnose gestellt und sich insbesondere auf die Angaben der Patientin verlassen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 26.09.2013 – 8 AZR 1026/12) folgend, muss die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber wegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung Schadensersatz in Höhe der Detektivkosten leisten. Die Voraussetzungen hierfür sah das LAG Köln aufgrund der Fülle an Verdachtsmomenten als erfüllt.

Welche Maßnahmen kann der Arbeitgeber ergreifen, wenn Mitarbeitende sich nicht an die geltenden Abstands- und Hygieneregeln halten sowie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Betrieb verweigern?

Gem. § 618 BGB trifft den Arbeitgebenden die Pflicht zu Schutzmaßnahmen. Eine Konkretisierung dieser Regelung stellt der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 20. August 2020 dar. So muss der Arbeitgeber bei der Gestaltung der Arbeitsplätze den Sicherheitsabstand von 1,5 Meter wahren und für ausreichende Lüftungsmaßnahmen, Absperrungen o.ä. sorgen sowie Kontaktreduzierungen anweisen.

Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um den Schutzanforderungen zu genügen, müssen im Betrieb Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden. Seit dem 1. Dezember 2020 gilt ohnehin aufgrund des Beschlusses vom 25. November 2020 in Arbeits- und Betriebstätten eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, mit Ausnahme des eigentlichen Arbeitsplatzes, solange dort ein Abstand von 1,5 Metern gewährleistet ist.

Sollte ein Mitarbeitender nun entgegen der Verpflichtung keine Mund-Nase-Bedeckung tragen, kann er zunächst abgemahnt und ihm in einem weiteren Schritt auch gekündigt werden. Gegebenenfalls wäre sogar eine außerordentliche Kündigung möglich, sofern sich der Arbeitgeber durch die Verweigerungshaltung des Mitarbeitenden Haftungsrisiken und finanziellen Nachteilen aussetzten würde. Geht der Mitarbeitende noch einen Schritt weiter und mobilisiert andere Kollegen dahingehend, die vom Arbeitgeber getroffenen Schutzmaßnahmen zu missachten, darf der Arbeitgeber nach einer Abmahnung ebenfalls kündigen. Der Arbeitgeber braucht es in einem solchen Fall nicht hinzunehmen, dass von ihm erarbeitete und verpflichtende Hygienekonzepte von den Mitarbeitenden seines Betriebs boykottiert werden.