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Gefahren für die Kündigung schwerbehinderter Menschen.

Voraussetzungen – Grundsätzliches

Wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als schwerbehinderter Mensch (im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX) oder Gleichgestellter (im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX) anerkannt war und das Arbeitsverhältnis bereits seit mindestens sechs Monaten bestand, greift neben dem allgemeinen Kündigungsschutz, der jedem Arbeitnehmer zusteht, auch der besondere Kündigungsschutz nach den §§ 168 ff. SGB IX.

War der Arbeitnehmer bei Zugang der Kündigung noch nicht als schwerbehinderter Mensch oder Gleichgestellter förmlich anerkannt, genießt er trotzdem den besonderen Kündigungsschutz, wenn er die Anerkennung mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung beantragt hat (bzgl. Feststellung der Behinderung, § 152 SGB IX).

Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung keine Kenntnis von der Schwerbehinderung bzw. der Gleichstellung haben muss, damit die Kündigung der Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht für den Arbeitnehmer auch keine Pflicht dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung mitzuteilen (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 13. Februar 2008 – 2 AZR 864/06 = NZA 2008, S. 1055 = openJur 2011, 98469).

Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis, muss der Arbeitnehmer diesen innerhalb einer Frist von drei Wochen über seine Schwerbehinderung oder Gleichstellung (bzw. seinen Anerkennungsantrag) informieren. Der besondere Kündigungsschutz findet sonst keine Anwendung (§ 173 Abs. 3 SGB IX). Auch das Bundesarbeitsgericht hat eine sonst eintretende Verwirkung bejaht (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 12. Januar 2006 – 2 AZR 539/05 = NZA 2006, S. 1035 = JurionRS 2006, 16865; Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 01. März 2007 – 2 AZR 650/05 = DB 2007, S. 1540 = openJur 2011, 97308).

Kündigungsschutzverfahren

I. Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes

Der Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers mit Behinderungen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Denn der Arbeitgeber darf die Kündigung erst dann erklären, wenn die Entscheidung des Integrationsamtes in Gestalt der Zustimmung vorliegt.

Das Zustimmungserfordernis ist zwingend. Eine Kündigung ohne die Mitwirkung des Integrationsamtes ist rechtlich unwirksam, da sie gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und nach § 134 BGB nichtig ist. Die ausgesprochene Kündigung kann deshalb auch nicht nachträglich durch die Beteiligung des Integrationsamtes genehmigt werden.

Die Zustimmung des Integrationsamtes muss in den folgenden Konstellationen vorliegen:

ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber (§ 168 SGB IX)
außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (§ 174 SGB IX)
Änderungskündigung
Sonderfall: Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung, wenn sie bei Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit auf Zeit sowie teilweiser oder voller Erwerbsminderung auf Zeit erfolgt (sog. erweiterter Beendigungsschutz, § 175 SGB IX)

Die Zustimmung des Integrationsamtes ist dagegen nicht erforderlich, wenn:

  • die Kündigung durch den schwerbehinderten Arbeitnehmer erfolgt
  • ein befristetes Vertragsverhältnis eingegangen wurde, da es hier keiner Kündigung bedarf; Ausnahme: es bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes bei einer außerordentlichen Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses; auch eine ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses bedarf der Zustimmung, hierbei muss der befristete Vertrag jedoch eine Regelung vorsehen, die eine solche Kündigung vor Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses explizit regelt (§ 15 Abs. 3 TzBfG)
    Sonderfall: Anfechtung des Arbeitsvertrages, so dass dieser für die Zukunft aufgelöst wird, ohne dass es hierfür einer Zustimmung bedarf
    das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendigt wurde (bspw. durch Aufhebungsvertrag, Abwicklungsvertrag)

Die Zustimmung des Integrationsamtes bedarf es ferner in den folgenden besonderen Fällen nicht:

  • wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat (§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX)
  • wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer von bestimmten Stellen entlassen werden (§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 156 Abs. 2 Nr. 2 – 5 SGB IX)
  • wenn den betroffenen älteren schwerbehinderten Arbeitnehmern bei sozialer Absicherung ohne deren Einwendungen gekündigt wird (§ 173 Abs. 1 S. 2 SGB IX)
  • wenn schwerbehinderte Arbeitnehmer aus Witterungsgründen mit Wiedereinstellungszusage entlassen wird (§ 173 Abs. 2 SGB IX)

Im Ergebnis soll die Beteiligung des Integrationsamtes gewährleisten, dass vor Ausspruch einer Kündigung die besonderen Schutzinteressen schwerbehinderter Menschen berücksichtigt und eine mit dem Schutzzweck des Gesetzes unvereinbare Kündigung vermieden werden (so das Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 10. September 1992 – 5 C 39/88 = BVerwGE 91, S. 7 = JurionRS 1992, 12755).

Hierbei wägt das Integrationsamt anhand des objektiv festgestellten Sachverhalts zwischen den Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers und den Interessen des Arbeitgebers ab, um eine Entscheidung treffen zu können. Denn der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, wenn dies jeder wirtschaftlichen Vernunft widerspricht (so die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urt. v. 28. Februar 1968 – V C 33.66 = DB 1968, S. 856 = JurionRS 1968, 14585).

Die Entscheidung des Integrationsamtes, die eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 2 SBG X ist, stellt einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SBG X dar.

II. Besonderer und allgemeiner Kündigungsschutz

Neben dem o. g. besonderen Kündigungsschutz steht den Betroffenen, wie allen anderen Arbeitnehmern auch, der allgemeine arbeitsrechtliche Kündigungsschutz zur Seite.

Als besonderer Kündigungsschutz nach dem SGB IX ist dieser jedoch dem allgemeinen (arbeitsgerichtlichen) Kündigungsschutz vorgeschaltet (also „präventiv“), so dass erst nach einer Entscheidung des Integrationsamtes zu Gunsten des Arbeitgebers eine Kündigung ausgesprochen werden kann. Die hierauf folgende Prüfung (also „repressiv“), ob die arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzbestimmungen (etwa des Kündigungsschutzgesetzes) eingehalten worden sind, erfolgt nicht vor den Verwaltungsgerichten, sondern vor den Arbeitsgerichten.

Damit haben schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen zusätzlichen Rechtsschutz.

III. Verfahrensablauf des besonderen Rechtsschutzes in Kürze

Das besondere Kündigungsschutzverfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX wird nach § 170 Abs. 1 SGB IX auf Antrag des Arbeitgebers eingeleitet.

Der Arbeitgeber beabsichtigt im Ergebnis also bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer eine Änderungskündigung, ordentliche Kündigung oder außerordentliche Kündigung und informiert in diesem Zusammenhang sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch den Betriebs- bzw. Personalrat und beantragt Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt.

Der Arbeitgeber hat den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung schriftlich oder elektronisch bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamt zu stellen.

Das zuständige Integrationsamt ermittelt den Sachverhalt und hört zu den Feststellungen (§ 170 Abs. 2 SGB IX):

  • den schwerbehinderten Menschen
  • die Schwerbehindertenvertretung
  • den Betriebs- bzw. Personalrat an.

Daraufhin schließt sich die Kündigungsschutzverhandlung an. Diese ist eine mündliche Verhandlung des Integrationsamtes mit den Beteiligten, um den Sachverhalt aufzuklären, eine „gütliche Einigung“ zu erzielen (also den Arbeitsplatz zu erhalten, den Besitzstand zu wahren, einvernehmliche Beendigung, etc.) (§ 170 Abs. 3 SGB IX) oder das Verfahren auszusetzen, um weitere Informationen oder Entwicklungen abzuwarten.

Im Rahmen des Verfahrens kann das Integrationsamt – falls notwendig – Fachleute heranziehen. Hierbei ist insbesondere seitens des Integrationsamtes als Behörde der Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten, so dass das Amt sich aller Beweismittel, die es für erforderlich hält, um eine objektive Klärung des Sachverhalts herbeizuführen, bedienen muss. Darüber hinaus ist auch an das Anhörungsgebot des § 24 SGB X zu denken. Im Rahmen der Anhörung sollen die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere die ihnen bekannten Tatsachen und Beweismittel angeben (Stichwort: Mitwirkungspflicht gem. § 21 Abs. 2 SGB X).

Sofern eine „gütliche Einigung“ nicht erzielt werden kann, entscheidet das Integrationsamt in den Grenzen des ihm zustehenden Ermessens unter Abwägung der berechtigten Interessen

  • einerseits des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsverhältnisses
  • andererseits des Arbeitgebers an der wirtschaftlichen Ausnutzung des Arbeitsplatzes

nach §§ 171, 172 SGB IX.

Das Integrationsamt soll seine Entscheidung innerhalb eines Monats vom Tage des Eingangs des Antrages an treffen (§ 171 Abs. 1 SGB IX). Es handelt sich bei dieser Regelung um eine Sollvorschrift, so dass in begründeten Ausnahmefällen die Frist überschritten werden kann, ohne dass hieraus Rechtsfolgen erwachsen. Bspw. wäre ein derartiger Fall anzunehmen, wenn umfangreiche Ermittlungen durch das Integrationsamt vorzunehmen sind (dazu gehören u. a. die Einholung von Gutachten).

Eine sachlich nicht gerechtfertigte Überschreitung der Frist des § 171 Abs. 1 SGB IX kann zu Schadensersatzansprüchen nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG führen. Es kommt auch eine Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht in Betracht (§§ 42, 75 VwGO).

Gemäß § 171 Abs. 5 SGB IX tritt eine sog. Zustimmungsfiktion ein, wenn in den Fällen des § 172 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB IX innerhalb eines Monats keine Entscheidung des Integrationsamtes vorliegt. Hierfür ist entscheidend, ob

  • der Betrieb bzw. die Dienststelle nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst wird (Betriebsstilllegung) und
  • zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tage, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen.

Es kommt hierbei jedoch nur auf die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an, nicht jedoch auf § 172 Abs. 3 SGB IX.

Die Entscheidung des Integrationsamtes ist nach der Vorschrift des § 171 Abs. 2 sowohl dem Arbeitgeber als auch dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzustellen; die Entscheidung muss also immer schriftlich erfolgen und nach §§ 35, 36 SGB X mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung förmlich bekannt gemacht werden.

IV. Was ist, wenn der Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung erfolgreich ist?

Ordentliche Kündigung

Liegt die Zustimmung des Integrationsamtes vor, kann der Arbeitgeber nunmehr die ordentliche Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Zustimmung erklären (§ 171 Abs. 3 SGB IX).

Lässt der Arbeitgeber die Frist verstreichen, ist die Kündigungsausspruch danach nicht mehr zulässig. Vielmehr muss er erneut einen Antrag auf Erteilung der Zustimmung beim zuständigen Integrationsamt nach § 168 SGB IX stellen.

Die Frist nach § 171 Abs. 3 SGB IX ist eine Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nicht zulässig.

Außerordentliche Kündigung

Wird die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung erteilt, muss die Kündigung durch den Arbeitgeber nach § 174 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erfolgen, wenn die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB (zwei Wochen) bereits abgelaufen ist.

V. Was kann der betroffene Arbeitnehmer nach erteilter Zustimmung und Ausspruch der Kündigung unternehmen?

Neben den Rechtsmitteln des besonderen Kündigungsschutzes, also Widerspruch und Anfechtungsklage vor dem (1) Verwaltungsgericht, steht dem schwerbehinderten Arbeitnehmer, wie jedem anderen Arbeitnehmer auch, der Rechtsweg zum (2) Arbeitsgericht offen.

Verwaltungsrechtsweg

Im Rahmen des präventiven Schutzes ist insbesondere anzumerken, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die erteilte Zustimmung zu Gunsten des Arbeitgebers nach § 171 Abs. 4 SGB IX keine aufschiebende Wirkung haben. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 171 Abs. 3 SGB IX gegenüber dem Arbeitnehmer die Kündigung aussprechen kann, wenn gegen die erteilte Zustimmung ein Widerspruchsverfahren oder eine Anfechtungsklage betrieben wird.

Arbeitsgerichtliches Verfahren

Die Zustimmung des Integrationsamtes heißt nicht, dass die Kündigung als solche auch wirksam ist. Denn die Behörde überprüft die angestrebte Kündigung nicht auf ihre arbeitsrechtliche Wirksamkeit, sondern nur darauf, ob sie in einem Zusammenhang mit der Behinderung des Arbeitnehmers steht. Die vom Arbeitgeber nach der erteilten Zustimmung erklärte Kündigung kann aus verschiedenen Gründen unwirksam sein, bspw. wegen eines formalen Fehlers, wegen eines fehlenden Kündigungsgrundes im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes.

Nach Erklärung der Kündigung kann der Arbeitnehmer die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht angreifen. Für die Kündigungsschutzklage gilt eine Frist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung.