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Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach Eigenkündigung

Worum geht es?

Im arbeitsrechtlichen Alltag nicht selten: Ein Arbeitnehmer kündigt das Arbeitsverhältnis. Im Anschluss an die Eigenkündigung, in manchen Fällen sogar unmittelbar, folgt die Vorlage einer ärztlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, nicht selten für die verbleibende Fortdauer des Arbeitsverhältnisses.

Sodann bittet der Arbeitnehmer um Auszahlung verbleibender Urlaubstage, die er auf Grund der Erkrankung nicht mehr wahrnehmen kann. Für den Arbeitgeber, der in solchen Fällen oft Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung hat, stellt sich die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hingenommen werden muss oder ob diese unwirksam ist und der Arbeitnehmer in der Folge unentschuldigt nicht zur Arbeit erscheint.Der Folgende Beitrag soll eine Übersicht zur Rechtslage sowie einigen ausgewählte Entscheidungen aus jüngster Zeit geben.

 

Zur Rechtslage – Grundsätzliches

Gemäß § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer, der ohne eigenes Verschulden krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist, für die Dauer von sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG (vgl. BAG, Urt. v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, Rn. 16 nach Beck Online). Gemäß § 5 Abs. 1 EFZG ist eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die voraussichtlich länger als drei Tage andauert, vom Arbeitnehmer durch die Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attests nachzuweisen. Einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird ein hoher Beweiswert zugesprochen (vgl. LAG Niedersachsen Urt. v. 8.3.2023 – 8 Sa 859/22, Rn. 25). Grundsätzlich reicht die Vorlage einer solchen Bescheinigung aus, um den Beweis der Arbeitsunfähigkeit zu erbringen (vgl. LAG Niedersachsen Urt. v. 8.3.2023 – 8 Sa 859/22, Rn. 25). Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die ernstliche Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers wecken (vgl. LAG Niedersachsen Urt. v. 8.3.2023 – 8 Sa 859/22, Rn. 26). Die ärztliche Bescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung oder Beweislastumkehr (vgl. BAG Urt. v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21, Rn. 13). Zugunsten des Arbeitgebers ist dabei jedoch anzuerkennen, dass dieser in der Regel keine genauen Kenntnisse von den Umständen der Erkrankung hat. Ihm sind deshalb Erleichterungen zu gewähren (vgl. LAG Niedersachsen Urt. v. 8.3.2023 – 8 Sa 859/22, Rn. 27).

Ernstliche Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können sich etwa aus der Bescheinigung selbst ergeben, aus den Umständen ihres Zustandekommens oder aus Verhaltensweisen des Arbeitnehmers (vgl. Ricken: „Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung – Grundlagen und neue Herausforderungen“, RdA 2022, 235, 236). Die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehrerer Ärzte allein reicht jedoch nicht aus, da es hierfür gute Gründe geben kann (vgl. Ricken: „Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung – Grundlagen und neue Herausforderungen“, RdA 2022, 235, 237).

Aktuelle Rechtsprechung

Immer wieder haben sich die Gerichte, in den unterschiedlichsten Instanzen, mit Streitigkeiten auf diesem Gebiet zu befassen.
So äußerte sich das BAG in seinem Urteil 5 AZR 149/21 vom 08.09.2021 zur Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Diese sei grundsätzlich sehr hoch. Um den Beweiswert zu erschüttern, müssten Tatsachen vorgebracht werden, die ernstliche Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründeten. Im konkret zu entscheidenden Fall sah das BAG die Beweiskraft als erschüttert an, nachdem die Arbeitsunfähigkeitserklärung am selben Tag wie die Eigenkündigung vorgelegt wurde und die Arbeitsunfähigkeit passgenau bis zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses andauern sollte.

In der Entscheidung 3 Sa 135/22 vom 08.02.2023 schloss sich das LAG Mecklenburg-Vorpommern dem BAG im Wesentlichen an, betonte jedoch, dass über das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsentscheidung stets aus objektiver Sicht zu entscheiden sei. Subjektive Betrachtungen des Arbeitgebers reichen nicht aus. Ebenso wenig seien objektiv mehrdeutig plausibel erklärbare Sachverhalte nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel zu begründen. Im konkret zu entscheidenden Fall sah das LAG es etwa nicht als ausreichend an, dass der Arbeitnehmer vor der Krankmeldung seine Büroschlüssel im Büro zurückgelassen hatte. Die Gründe dafür habe er plausibel vorgetragen.

Das LAG Niedersachsen sah in seinem Urteil vom 8.3.2023 – 8 Sa 859/22 die Beweislast der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht dadurch erschüttert, dass der Arbeitnehmer bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber krankgeschrieben wurde. Dies gelte auch in Fällen der Eigenkündigung; wenn die Erkrankung über mehrere Wochen andauere und mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlägen. Wichtigstes Indiz für die Erschütterung der Beweiskraft sei, so das Gericht, eine Krankmeldung am Tag der (Eigen-) Kündigung.

In seiner Entscheidung vom 23.09.2022 – 1 Ca 20 b/22 sah das Arbeitsgericht Neumünster die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, die am Tag nach der Eigenkündigung des Arbeitnehmers vorgelegt wurde.

Was ergibt sich daraus für die Praxis?

 

Nach wie vor wird die Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als sehr hoch bewertet. Dieser Grundsatz lässt sich schon aus dem Gedanken des Entgeltfortzahlungsgesetzes ableiten. Jedoch ist die Beweiskraft nicht unerschütterlich. Liegen Tatsachen vor, die aus objektiver Sicht ernstliche Zweifel begründen, so ist es am Arbeitnehmer weitere Beweise für seine Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Eine solche Tatsache kann der zeitliche Zusammenhang zwischen Eigenkündigung und Krankmeldung sein. Aus der bisherigen Rechtsprechung lässt sich der Grundsatz entnehmen, dass je enger Eigenkündigung und Krankmeldung zusammen liegen, desto eher die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angezweifelt werden kann.