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Fachanwalt für Arbeitsrecht Spandau: Wirksamkeit einer Kündigung wegen Verstoß von Quarantäneanordnung

Am 23.06.2022 befasste sich die 26. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in der Entscheidung 26 Sa 1322/21 mit der Wirksamkeit einer Kündigung infolge eines Verstoßes gegen Quarantäneauflagen.

Worum ging es?

Der Kläger war Mitarbeiter bei der Beklagten, einem Sicherheitsunternehmen. In der Nacht vom 11. Auf den 12. Januar 2021 war er zur Überwachung einer Wohnung für Obdachlose eingeteilt. In der gleichen Nacht arbeitete im Nebenzimmer eine Auszubildende, die am 16. Januar 2021 erste Symptome einer Corona-Erkrankung zeigte.

Der Kläger erschien nach der Nachtschicht noch am 13. Januar sowie vom 18. bis 20. Januar. Am 19. Januar wurde beim Kläger ein Corona-Test durchgeführt, der negativ ausgefallen ist. Ebenso am 19. Januar wurde der Kläger über die Coronainfektion der Auszubildenden informiert. Über die Geschehnisse informierte er die Beklagte am 20. Januar. Am 25. Januar 2021 erhielt der Kläger ein Schreiben des Gesundheitsamtes mit der Information, dass er als Kontaktperson bis zum 30. Januar unter Quarantäne stehe. Trotzdem erschien der Kläger in den darauffolgenden Tagen wie geplant zur Arbeit. Erst am 01. Februar 2021 informierte der Kläger die Beklagte über die Quarantäneanordnung.

Daraufhin hörte die Beklagte den Betriebsrat bezüglich einer Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat enthielt sich. Anschließend kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos, hilfsweise fristgemäß. Der Kläger klagte dagegen. Er versah sich keiner Pflichtverletzung. Schließlich sei er am 19. Januar negativ getestet worden. Außerdem sei die vom Gesundheitsamt verhängte Quarantäne zu lange gewesen.

Das Arbeitsgericht Berlin gab in erster Instanz der Beklagten recht. Daraufhin ging der Kläger in Berufung. Er reichte ein Schreiben des Bezirksamts Mitte ein, welches feststellte, dass er nicht hätte als Kontaktperson der Auszubildenden eingestuft werden dürfen, da zwischen der gemeinsamen Nachtschicht und dem Auftreten erster Symptome bei der Auszubildenden mehr als drei Tage vergangen waren. Die Beklagte begehrte, wie schon in erster Instanz, Abweisung der Klage. Der Kläger habe durch sein Verhalten das Infektionsschutzgesetz (kurz IfSG) verletzt und Menschen gefährdet. Auch wenn er selbst keine Symptome hatte, so hätte er auch unbemerkt an einer symptomlosen Coronainfektion erkrankt sein können.

Was hat das Landesarbeitsgericht entschieden?

Das Landesarbeitsgericht gab dem Kläger recht und stellte die Unwirksamkeit sowohl der ordentlichen als auch der außerordentlichen Kündigung fest.

Zur außerordentlichen Kündigung:

Kündigungsgrund

Zunächst befasste das Gericht sich mit der fristlosen Kündigung. Diese ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB wirksam, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann ( vgl. BAG 25. Januar 2018 – 2 AZR 382/17, Rn. 26).

Das Gericht stellte zunächst klar, dass es bei der arbeitsrechtlichen Bewertung des Sachverhalts nicht darauf ankommt, ob oder inwieweit der Verstoß gegen Quarantäneauflagen strafrechtlich bewährt ist. Entscheidend sei allein die Frage, ob der Kläger vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten verletzt habe und dadurch ein massiver Vertrauensbruch entstanden sei.

Zum vorliegenden Sachverhalt führte das Gericht aus, dass das Verhalten des Klägers grundsätzlich dazu geeignet gewesen sei eine fristlose Kündigung zu begründen. Er habe seine Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 242 Abs. 2 BGB verletzt, indem er trotz Quarantäneanordnung zur Arbeit erschienen ist und damit riskiert hat, Kollegen mit Corona anzustecken. Erschwerend käme hinzu, dass der Sachverhalt sich zu einer Zeit abgespielt habe, zu der noch nicht ausreichend Impfstoff für die Bevölkerung zur Verfügung stand und eine Coronainfektion weitreichende gesundheitliche Folgen bis zum Tode hätte haben können.

Interessensabwägung

Das Gericht stellte sodann klar, dass bei Vorliegen eines Grundes für eine fristlose Kündigung sodann eine umfangreiche Interessensabwägung stattfinden müsse. Bei dieser sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Eine fristlose Kündigung sei nur gerechtfertigt, wenn es keine milderen dem Arbeitgeber zumutbaren Mittel gäbe. Alle Umstände des konkreten Einzelfalls müssten gewertet werden. Vorliegend ginge die Interessensabwägung zugunsten des Klägers aus. Das Gericht führte aus, dass sowohl einer ordentlichen als auch einer außerordentlichen Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung vorangehen müsse. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur rechtmäßig, wenn eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers trotz Abmahnung nicht zu erwarten sei oder die Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer so schwerwiegend in ihrem Ausmaß, ihren Folgen oder dem Grad des Verschuldens sei, dass eine Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber nicht zumutbar wäre. Vorliegend habe keine dieser beiden Ausnahmen vorgelegen, sodass die Beklagte eine Abmahnung hätte erlassen müssen. Für den Kläger würde hier sprechen, dass er die Beklagte sowohl über den Kontakt mit einer erkrankten Person als auch über den negativen Coronatest am 20. Januar informiert habe. Demnach habe die Klägerin vom Sachverhalt Kenntnis gehabt. Sie habe trotzdem in den folgenden Tagen keine Schutzmaßnahmen ergriffen. Gleichwohl sei es ein schwerwiegender Vertrauensbruch gewesen, dass der Kläger die Beklagte nicht über die Quarantäneanordnung informiert habe. Hierbei müsse jedoch das Schreiben des Bezirksamts Mitte in Betracht, aus dem sich ergibt, dass der Kläger gar nicht hätte als Kontaktperson eingestuft werden dürfen, gezogen werden. Vom Kläger sei tatsächlich kein erhöhtes Risiko einer Ansteckung ausgegangen. Unter Abwägung all dieser Punkte kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall eine Abmahnung notwendig gewesen wäre. Der Umgang des Klägers mit der Quarantäneanordnung sei eindeutig falsch gewesen. Jedoch zeige sein Verhalten in den Tagen davor, dass er sich der Pandemielage und deren Gefahren bewusst gewesen sei. Demnach hätte die Klägerin nicht ohne Weiteres von einer negativen Verhaltensprognose ausgehen dürfen.

Zur ordentlichen Kündigung

Schließlich stellte das Gericht fest, dass auch die ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung aus denselben Gründen unwirksam war.

Was ergibt sich daraus?

Im vorliegenden Fall arbeitet das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Voraussetzungen für ordentliche und außerordentliche Kündigungen eindeutig hervor.

Grundsätzliches

Wichtig ist zunächst, dass ein Pflichtverstoß stets an den Regeln des Zivilrechts zu messen ist. Ob ein Pflichtverstoß eine strafbare Handlung oder Ordnungswidrigkeit darstellt, ist gerade nicht entscheidend bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Es kommt darauf an, ob der Arbeitnehmer eine Haupt- oder Nebenleistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat.

Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Kündigung

Bei der Bewertung der außerordentlichen Kündigung ist sodann ein zweigliedriger Aufbau zu wählen. Zunächst muss beurteilt werden, ob ein wichtiger Grund vorliegt, der grundsätzlich dazu geeignet ist eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Sodann ist eine Interessensabwägung vorzunehmen. Hierbei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Das führt dazu, dass auch bei der außerordentlichen Kündigung grundsätzlich eine vorherige Abmahnung notwendig ist, da diese ein milderes Mittel zur Kündigung darstellt. Ausnahmsweise ist die vorherige Abmahnung entbehrlich, wenn ex ante erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten auch trotz Abmahnung nicht ändern wird oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend in Art und Ausmaß, Folgen, auch für die Situation im Betrieb, oder dem Grad des Verschuldens durch den Arbeitnehmer ist, dass eine Weiterbeschäftigung unzumutbar erscheint.
Die hier aufgezeigten Grundsätze entsprechen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.